Geschichte

Wir starten im Alten und sind dann das Neue

Tine:
Anfänge als Frauenkurs in den 80ern

Das alte Takudai war am Kottbuser Damm über dem Woolworth. Da waren Männer, und die waren richtig gut. Und das Besondere war, dass die mich in ihrem Kreis als Feministin und Linke akzeptiert haben.
Nachdem ich den Schwarzgurt gemacht habe, haben wir einen Frauenzug im alten Takudai installiert. Das waren alles Frauen die politisch bewegt waren von der Idee, dass Frauenrechte eine andere Rolle in dieser Gesellschaft spielen müssen, aber auch Schwulen – und Lesbenrechte … und die sowohl der Idee der Gleichheit anhingen, als auch ansonsten gesellschaftlich vielfältig aktiv waren. Und von daher waren wir natürlich eine Herausforderung für die Männer im alten Takudai. Aber die haben uns respektiert und akzeptiert.

Und das war meine wichtigste Lektion als neue Meisterin: Die Welt ist bunt und selbst wenn man vollkommen anderer Meinung ist, gibt es Wege sich miteinander auszutauschen und zu vermeiden, dass man sich schlagen muss. Das finde ich für Karate eine sehr wichtige Lektion.

Umzug ins eigene Dojo nach Mitte

Dann wurde es eng, weil: Wir wurden immer mehr, was sehr erfreulich war. Und über die Frauenschiene wurden wir auch politisch aktiv. Als dann die Mauer fiel, wollten wir auch die aktiven Frauen aus dem Osten dazu haben, UFV, Unabhängiger Frauenverband zum Beispiel und auch Gewerkschafterinnen aus dem Osten hatten Interesse bekundet. Und dann gab es eine Frau vom Bürgeramt in Mitte, die uns ein Angebot für Räume machte, dann das war auch eine Bereicherung für die Gegend. Und dann stand das neue Dojo und alles war gut.

Der Schwulenkurs kommt dazu

Nach dem Mauerfall gab es dann die Situation, dass a) sehr viele Nazis, junge Nazis, in Peergroups, in Gleichaltrigengruppen, sich im Westen herumtrieben bis hin zum Herrmannplatz und auf der anderen Seite viele Peergroups migrantischer Abstammung sich – ob jetzt als Gegenreaktion oder wie auch immer – gewaltförmiger zeigten als zuvor, aggressiver. Die einen hatten Angst, man nimmt ihnen ihr Vaterland, die anderen waren stolz auf ihr Vaterland und dazwischen wurden ganz oft junge Männer überfallen, die beider Bilder von einem tapferen, stolzen, aufrechten Hetero-Mann nicht entsprachen. Nämlich die Schwulen wurden in dieser Stadt ziemlich aufgemischt. Das fanden wir richtig schlimm. Es wurde viel diskutiert und so kam es, dass wir uns dachten: Wir machen unser Dojo auf und trainieren mit den jungen Männern, dass sie sich besser wehren können. Und so ist es zum ersten Schwulenkurs in unserem Takudai gekommen.
Später hatten wir dann auch Mädchen, die wir unterrichtet haben. Dann kam dazu, dass wir fanden, gleiche Rechte gelten selbstverständlich auch für Behinderte. Ganz klar war, wir trainieren auch mit behinderten Menschen. Es gab klassische Kung-Fu-Filme, in denen ganz klar war, wenn dem gerechten Menschen in seinem gerechten Tun der rechte Arm abgehackt wird, dann trainiert er eben mit dem linken. Und dann muss man eben alle Techniken auf links trainieren.

Das Optimum in der eigenen Entwicklung suchen

Dieses Nichtaufgeben, je nach Zustand trainieren, bedeutete auch, dass wir keine Ansprüche darauf hatten, dass die Tritte zum Beispiel in den zweiten Stock gehen müssen, also bis zum Kopf, weil die Körper unterschiedlich sind. Sondern der Tritt hat sauber zu sein und erkennbar dieser Tritt und dann das Optimale aus diesem Menschen herauszubringen in diesem Tritt, das war für uns Traditionalisten das Optimum und das wurde bewertet und nicht, ob der in den zweiten Stock geht. Wir waren gar nicht orientiert am Sportkarate.
Die Effektivität bis zum geht-nicht-mehr, zum getno, sozusagen, auszureizen und sie zu suchen im eigenen Körper und miteinander, das ist doch ein guter Plan. Das kann man auch machen, bis man sein Popöchen zukneift. … Es ist ein Ringen um die eigene Entwicklung, dieses Optimum in der eigenen Entwicklung, das ist praktisch unsere Überschrift.
Ich glaub da geht’s mir wie euch: Mir ist nie langweilig. Das heißt, ich hab die unterschiedlichsten Ebenen, auf denen ich was lerne. Es kann sein, mein Körper macht unterschiedliche Entwicklungen. …. Er hat die unterschiedlichsten Aufgaben an mich gestellt. Z.B. ist mir klar geworden, dass wenn Frauen kämpfen und sie sind zwei Tage vor der Menstruation und haben Wassereinlagerungen, die ein Gewichtszuwachs von bis zu zwei Kilo machen, dass die grün und blau sind. Das hat Männer natürlich ein Scheißdreck interessiert, die sind niemals auf die Idee gekommen, sich zu überlegen, was ist mit ihrem Körper los… Und da habe ich schon gemerkt, O.K. da muss man ein bisschen gucken. Ich mein, wenn man sich schlagen muss, weil man überfallen wird, dann ist jeder Tag der richtige zum Kämpfen. Aber dann habe ich auch gesehen, es gibt auch Tage, da müssen wir nicht kämpfen und da konnten die Frauen auch sagen, nee, Tine, boh nee!

Autorität

So das war die körperliche Ebene. Und dann die Auseinandersetzung mit den Schülern und Schülerinnen und mit mir selber. Zum Beispiel die eigene Autorität. Die eigene Autoritätshörigkeit, die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte – in welches Nest ist man denn gefallen, wenn es um Totalität geht oder um Unterwerfung, oder lieber mal nachfragen. Und wie möchte man unterrichten, wer möchte man sein? Das ist ja ne echte Herausforderung und da hab ich natürlich auch jede Unterstützung gehabt, von euch, also der Schülerschaft. Es war großartig. Ich wär heute zehnmal blöder. Ich sag ja immer, ich wär fett und doof (lacht).“

Prolog

Ernst: „Du könntest auch sagen, in deinen Schülern spiegeln sich deine Erfahrung und Weisheit. Wir sind die Spiegel und nicht diejenigen, die dir helfen, sondern du hilfst uns.“

Tine: „Na, ob das ein Zen-Buch zuviel war, weiß ich auch nicht (Lachen).“

Ernst: „Oder noch besser, vielleicht ist man ja als Lehrerin und Schülerin immer gegenseitige Hebamme für die Entwicklung.“

Tine: „Auf jeden Fall ist es irre, dass einige von uns jetzt, ich weiß nicht wie viel hundert Jahre zusammen trainieren und dass wir jeden Konflikt so hinbekommen haben, dass wir sagen können: Wir sehen uns immer noch gerne.“